Verödende Fußgängerzonen? Tolle Chance!

Die Innenstädte bluten aus, und überall jammern sie darüber. Warum eigentlich kommen augenscheinlich nur Inhaber von Ein-Euro-Shops auf die Idee, in die entstehenden Lücken zu stoßen? Da ginge mehr.

Neulich bin ich nach längerer Zeit mal wieder in der Wiesbadener Innenstadt gewesen. Und habe mich erschreckt. Schon wieder ein paar Läden durch ein Ein-Euro-Shops oder Super-billig-Bling-Bling-Modeläden ersetzt – also auch eine Art von Ein-Euro-Shops. Mittlerweile ist es wieder ein bisschen besser. Die große Buchhandlung mit Café ist umgezogen und hat sich verkleinert, ist aber noch da. Und ein paar teils auch neuere Markenshops haben sich hinzugesellt. Doch Geschäfte und sogar ganze Passagen stehen leer. Und ich finde, Ein-Euro-Shops in der Fußgängerzone einer Stadt riechen verdächtig nach Niedergang.

Ich muss gestehen: Ich fühle mich mitschuldig. Ich arbeite, habe zwei Kinder und treibe meinen Sport vergleichsweise leidenschaftlich. Zeit ist ein echter Faktor. Ich gehe selten in die Innenstadt. Vieles erledige ich online, spätestens seit der Pandemie. Doch als die Kinder klein waren, habe ich mich vorher schon manchmal dazu hinreißen lassen, zu einer dieser neu aus dem Boden gestampften Center-Galerien zu fahren. Einfach weil Sie dort Drogerie-, Elektronik- und Lebensmittelgeschäft auf einem Fleck haben und am Ende vielleicht auch noch im Buchladen ein Geschenk finden, das Sie demnächst brauchen können. Und all das in Rolltreppenreichweite.

Eigentlich kannibalisieren sich da die Ketten …

Erst standen diese Center in dem Ruf, böse zu sein, weil sie die Innenstädte kannibalisieren, spätestens seit der Pandemie die Online-Shops. Und ich bin mit dran schuld, denke ich manchmal auf dem Weg durch die Stadt.

Aber bevor ich nun allen Ernstes ein schlechtes Gewissen bekommen habe, fiel mir ein, wie ich mich vor Jahren gefragt habe, warum eigentlich Fußgängerzonen überall gleich aussehen müssen. Ich bin dort nie wirklich gern gewesen, ehrlich gesagt. Auch schon, als ich mehr Zeit hatte. H&M neben Zara neben Mango neben Kaufhof neben Karstadt neben Promod neben Vodafone und Telekom neben Fielmann neben Starbucks neben McDonald’s neben Burger King. Gut, kleinere Abweichungen je nach Stadt. Aber vom Prinzip her… Und das sind Ketten. Gut, teilweise Franchiser, also auch Unternehmer. Aber definitiv keine kleinen Einzelhändler, denen die bösen Filialgeschäfte von Ketten in den Centern da das Innenstadtwasser abgraben würden. Sondern eigentlich auch nur wieder sich selbst.

Ganz neue Angebote für Laufkunden

Je länger ich drüber nachdenke, desto weniger trauere ich dieser Einförmigkeit hinterher. Ich frage mich nur: Warum eigentlich müssen ausgerechnet Ein-Euro-Shops in die Lücken stoßen? Warum kommen nicht andere Händler und Anbieter auch endlich mal auf die Idee, die nun vielerorts sinkenden Mieten für sich zu nutzen? Das ist doch die Gelegenheit. Laufkundschaft. Aus der können durchaus treue Kunden werden. Ich denke an Goldschmiedewerkstätten, Designkollektive, Geschenkzubehör, Künstlerateliers und Galerien, Ballett-, Judo- und Musikschulen. Kleine Theater. Schuhmachergeschäfte auch gern. Und dazwischen von mir aus nette Cafés und Restaurants in Gründerhand. Kunst und Kampfkunst, wenn Sie so wollen.

Und gern auch für die Anwohner hier und da einen Supermarkt. Und von mir aus auch noch die Energiespar- oder Erziehungsberatungsstelle, die kein Mensch zufällig im Vorbeilaufen aufsucht, weil sie sich bislang eben neben dem neu hochgezogenen Verwaltungsgebäude am Stadtrand befindet. Das könnte sich dadurch ja ändern. Sollen sie also endlich die aussterbenden Innenstädte bevölkern. Das ist mit Sicherheit auch städteplanerisch wertvoller als sowohl Ein-Euro-Shops wie auch herkömmliche Fußgängerzonen.

Warenhäuser zu Basaren

Vielleicht wäre ja jetzt auch die Zeit reif für diese wunderbare Idee, von der mir vor ein paar Jahren mal für einen Artikel über die Zukunft des Handels Manfred Kirchgeorg erzählt hat, Professor für Marketingmanagement an der Handelshochschule Leipzig (HHL). Damals ging es gerade wegen der Karstadt-Insolvenz um die Frage: Welche Zukunft haben Warenhäuser? Und Kirchgeorg erzählte, in Fachkreisen werde die Idee diskutiert, dass die Eigentümer oder auch neue Investoren die Flächen an stetig wechselnde Händler vermieten könnten. „Anbieter, die Sie sonst nur im Internet finden, könnten sich so mal für vier Wochen die Präsenz in einer Toplage gönnen und hätten auf diese Weise die Chance auf neue Kunden“, malte er damals aus. Natürlich wäre das viel Aufwand, räumte er ein und hielt dann dagegen: „Aber Menschen lieben Märkte.“

Genau. Und ich könnte mir vorstellen: auch bunte und abwechslungsreiche Innenstädte.

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